Boomtown Cottbus?

Cottbus will sein schlechtes Image loswerden. Die aktuelle Situation bietet die Gelegenheit dazu. Wenn Cottbus die zahlreichen Flüchtenden aus der Ukraine willkommen heißt und wenn sie dann vielleicht sogar bleiben, könnten gleich mehrere Probleme der Stadt gelöst sein.
Ein Kommentar von Christine Keilholz
Am Cottbuser Bahnhof war selten so viel los. Hunderte Menschen steigen aus den Zügen. Dutzende Helferinnen und Helfer sind da, um sie in Empfang zu nehmen. Der Krieg in der Ukraine hat Familien, Frauen, Kinder, Großeltern auf die Flucht gezwungen. Sie fliehen vor Putins Bomben – und kommen hierher. Für Cottbus ist das ein Momentum und eine Chance. Die Menschen aus der Ukraine könnten vielleicht die Zuzügler sein, die hier so dringend gebraucht werden.
Cottbus ist eine schrumpfende Großstadt. Wer von 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern spricht, verschweigt großzügig, dass es eigentlich ein paar hundert weniger sind. Seit spätestens drei Jahren ist Cottbus, streng genommen, keine Großstadt mehr. Aber ich will nicht kleinlich sein. Die Stadt hat sich jetzt vorgenommen, es bald auf 107.000 Einwohner zu bringen. Diese Zahl ist ein bisschen ein Werbegag des Stadtmarketings. Sie steht geschrieben in der funkelnagelneuen Imagekampagne, die den Namen „Boomtown Cottbus“ trägt. Bemerkenswert an dieser Kampagne ist mindestens schon mal, dass die Domain www.boomtown.de noch zu haben war. Keine andere schrumpfende Großstadt hatte sie sich bisher gesichert. Cottbus hat zugegriffen. Auch das kann man als Momentum verstehen. Boomtown in Deutschland, das ist jetzt Cottbus. Clever. Gut gemacht, liebes Stadtmarketing! So viel dazu.
Endlich neue Einwohner für die Boomtown?
Woher die 7.000 plus ein paar hundert neuen Cottbuser kommen sollen, weiß die Boomtown noch nicht. Ich hätte eine Idee: Ein paar könnten aus der Ukraine kommen. Warum nicht? Denn die Kriegsflüchtlinge kommen ja ohnehin hier an. Cottbus ist für viele dieser zumeist Frauen und Kinder die erste Station auf deutschem Boden. Leider ist es allerdings eher eine Durchgangsstation. Das ist einer selbsternannten Boomtown unwürdig und sollte sich schnell ändern. Deshalb sage ich: „Hey Cottbus, nutze die Chance. Öffne diesen Menschen nicht nur die Herzen. Öffne auch die Türen. Gib ihnen Wohnungen, gib ihnen Jobs. Sag ihnen, dass sie bleiben können.“ Das wäre doch cool.
Cottbus erfindet sich gerade neu. Das liegt nicht an der Boomtown-Kampagne, die liefert erstmal nur schöne Bilder ohne Inhalt. Nein, es liegt, so furchtbar das ist, am Krieg in der Ukraine. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin nur 1.000 Kilometer von hier Wohnblöcke und Krankenhäuser bombardieren lässt, hat selbst diejenigen Cottbuser tief erschüttert, die bislang Moskau für die heimliche Hauptstadt der Welt hielten. Wie nah diese 1.000 Kilometer sind, weiß jeder, der in Kyjiw Freunde, Kolleginnen, Verwandte hat. Dieser unfassbare Krieg ist so nah, dass inzwischen gefühlt die halbe Stadt an der ukrainischen Grenze war, um Freunde, Kolleginnen, Verwandte in Sicherheit zu holen.
Eine Welle der Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft hat Cottbus erfasst. Plötzlich gibt es auf dem Altmarkt Kundgebungen für den Frieden – statt Demos gegen die Coronapolitik. Endlich mal ist nicht mehr der Teil der Bürgerschaft öffentlich sichtbar, der auf alles keinen Bock hat. Nein, jetzt treten ganz andere Leute in Erscheinung. In dem Elend des Krieges meldet sich eine engagierte Stadtgesellschaft zu Wort. Es zeigen sich Bürger, Initiativen, Vereine, die nicht darauf warten, dass ihnen irgendeine Behörde Gelder bewilligt. Menschen, die einfach spontan das Gästezimmer freiräumen, Essen, Trinken, Windeln in den Kofferraum packen und losfahren. Cottbus zeigt sein freundliches Gesicht.
Smart City oder braune Stadt im Osten
Das ist leider nicht selbstverständlich, denn Cottbus kann auch ganz anders, das haben wir erlebt. Tut mir leid, aber ich muss erinnern an 2014 und 2015, als schon einmal Flüchtende kamen. Damals gab es auch Hilfsbereitschaft und Willkommen – aber es hielt nicht lang und schien auch nicht mehrheitsfähig. Weiter verbreitet war die Sorge, ob Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien denn wirklich in dieses Cottbus passen. Manche Bürger waren wirklich sauer und zeigten das auch. Es beschwerten sich Eltern, weil Geflüchtete in Schulsporthallen untergebracht waren – und deshalb die sportlichen Leistungen der Kinder gefährdet seien. Dauernd tauchten rechtsextreme Einpeitscher auf und wurden eifrig beklatscht. Zu allem Überfluss gründete sich ein Verein namens „Zukunft Heimat“, der seine Fremdenfeindlichkeit als eine Art Standortfaktor vermarktet.
Wer sich so unfreundlich benimmt, der bekommt zum Dank einen schlechten Ruf. Den hat Cottbus leider, das ist jetzt sogar amtlich. Die Stadtverwaltung hat kürzlich alle Presseartikel nochmal gründlich gelesen, die in Hamburg, Frankfurt, New York oder Ulm über Cottbus geschrieben wurden. Die traurige Erkenntnis: Die meisten Artikel handelten von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Nein, diese Presse! Schreibt keine Zeile über die „Modellstadt für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Wachstum“, die Cottbus bald sein will. Übersieht den Ostsee, den man bald mit Wasser gefüllt haben will. Lässt die Universität unerwähnt, die man bald zum „Motor des Strukturwandels“ gemacht haben will. Kein Wort über die Smart City Cottbus und über die „bundesweit wohl höchste Dichte an Schlafmedizinern“, die nun wirklich eine Besonderheit sind. Immer ging es nur um das braune, abgehängte Cottbus, das keine Ausländer will.
Gutes tun ist die beste Imagekampagne
Ein schlechter Ruf hat schlechte Folgen. Nämlich dass die Professoren, Bahn-Instandhaltungsmechaniker und Nachwuchs-Mediziner wegbleiben, die man eigentlich braucht. Deshalb ist nun diese Imagekampagne da. Alles von der Modellstadt für Klimaschutz und so weiter bis zu den dichten Schlafmedizinern steht da nochmal drin. Ob eine solche Kampagne wirklich ein gutes Image bringt, weiß ich auch nicht. Aber ich stelle fest: Die Cottbuser nehmen ihr Image in die eigenen Hände. Es kommen wieder Kriegsflüchtlinge – und es läuft viel besser als beim letzten Mal. Cottbus, darauf kannst Du stolz sein!
Zur Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft sollte nun noch etwas Drittes kommen, nämlich Eigennutz. Ja, Eigennutz. Die Aufnahme von Schutzsuchenden kann auch eine Win-Win-Situation ergeben. Wenn Cottbus diesen Menschen jetzt den Aufenthalt ermöglicht und gute Bedingungen dafür schafft, dann bleiben sie vielleicht länger. Es könnte auch helfen, die besseren Standortfaktoren zu erwähnen. Zum Beispiel die 7.000 freien Jobs in attraktiven Zukunftsbranchen, die in den nächsten Jahren entstehen. Rund um Cottbus werden Fachkräfte für Verkauf, Büro und Sekretariat händeringend gesucht. Dazu Personal für Reinigung und Gastronomie, Köchinnen und Bauelektriker, Meinungsforscherinnen und Berufskraftfahrer. Was die Statistik der Bundesagentur für Arbeit im Bezirk Cottbus nicht erfasst: Gesucht werden auch Tausende von Wissenschaftlern. Außerdem: Anders als in Berlin findet man hier eine bezahlbare Wohnung, ohne anzustehen, und einen Platz in der Kita, den man nicht schon bei der Eheschließung beantragen muss.
Mit dem Willkommen fängt es an. Jetzt müssen Anreize zum Hierbleiben folgen. Wer will, dass Cottbus eine Boomtown wird, muss mehr tun, als eine hübsche Domain zu sichern. Eine Kampagne mit Videos, in denen bekannte Persönlichkeiten durch die Stadtlandschaft laufen und hoffnungsvoll in den Himmel schauen, mag ganz nett sein. Besser sind aber Bilder in den Nachrichten, die zeigen, wie Menschen andere Menschen am Bahnhof empfangen und umsorgen. Was die Cottbuser Bürgerinnen und Bürger gerade leisten, ihr aktives Tun, ihre Hilfsbereitschaft – all das bringt der Stadt und ihrem Image mehr als jede Kampagne.